Klaus Barbie

Klaus Barbie – Begegnung mit dem Bösen
Koppelmann – Grothgar

Mehr als 75 Jahre nach der Befreiung von Auschwitz und dem Ende des Zweiten Weltkriegs gilt es erneut, sich mit den Tätern auseinander­zusetzen. Einer von ihnen ist Klaus Barbie, Gestapo­-Kommandant von Lyon. Seine Biografie steht beispielhaft für deutsche Geschichte im 20. Jahrhundert. Die Taten, die der „Schlächter von Lyon“ beging, sind in ihrer Grausamkeit und in ihrer Summe unvorstellbar: Morde, Entführungen, Erpressung, Folter.
Nach dem Krieg floh Barbie wie viele andere Nazi­-Größen über die sogenannte „Rattenlinie“ nach Südamerika. Jahrzehnte­lang lebte er unbescholten als erfolgreicher Geschäftsmann in Bolivien und Peru und half mit seinem Wissen südamerikanischen Diktatoren bei der skrupellosen Verfolgung von Regime­gegnern. Außerdem war er Agent des BND und lieferte Informationen aus erster Hand. Seit den 70er Jahren war ihm das deutsch-­französische Ehepaar Klarsfeld hart­näckig auf den Fersen. Aber erst 1983 wurde Barbie von der peruanischen Regierung nach Frankreich ausgeliefert, wo er vier Jahre später wegen zahlreicher Verbrechen gegen die Menschlichkeit verurteilt wurde.
Barbie zeigte auch in seinem Prozess weder Reue noch Mitleid mit seinen Opfern, Jahrzehnte nach seinen unfassbaren Taten – was zur Frage führt: Wie leuchtet man die Abgründe des Bösen aus, wie sieht das Psycho­gramm eines Täters aus?

Klaus Barbie – Begegnung mit dem Bösen

von Leonhard Koppelmann

Weiterspielen-Neuproduktion der Fassung für das Düsseldorfer Schauspielhaus (in Planung)


Mit Andreas Grothgar


Regie Leonhard Koppelmann


Aufführungsdauer 75 Minuten, keine Pause


Aufführungsrechte Rowohlt Theaterverlag, Hamburg


Alle Fotos © Sebastian Hoppe


Das Stück basiert auf dem preisgekrönten WDR¬-Hörspiel »Klaus Barbie – Begegnung mit dem Bösen« (WDR 5), das Regisseur Koppelmann ausgehend von den Recherchen von Peter F. Müller realisierte.


Uraufführung am 13.2.2016 am Düsseldorfer Schauspielhaus (Central)


Mitwirkende der Originalproduktion (Düsseldorfer Schauspielhaus 2015/16):

Bühne Leonhard Koppelmann Mitarbeit Bühne Ria Papadopoulou Kostüm Saskia Schneider

Dramaturgie Armin Breidenbach Licht Konstantin Sonneson Regieassistenz Maja Delinić Kostümassistenz Lisa Marie Krahn Inspizient Andrea Seliger Soufflage Pia Beine


ORIGINAL-TRAILER DES DÜSSELDORFER SCHAUSPIELHAUSES:

Ableitungen für uns heute finden

Regisseur Leonhard Koppelmann im Gespräch mit Annette Bosetti


Darf man der Bestie Barbie eine Bühne bieten? 


Man muss es sogar. Denn der Täter entlarvt sich durch seine Worte. Nur so können wir Ableitungen für uns heute finden. 


Will das Publikum so etwas sehen? 


Es ist vielleicht eine Überprüfung wert. Weil das Stück zur Selbstbefragung anregt: Gibt es einen Teil dieser Bestie auch in mir oder in meinem Umfeld? Der Text soll dafür sensibilisieren. Wir befinden uns in einer sich zunehmend radikalisierenden Gesellschaft, der Diskurs wird schärfer. Man kann schon bittere sprachliche Kontinuitäten entdecken, die im besten Fall unser Frühwarnsystem anwerfen. 


Sie haben bereits ein Hörspiel zum selben Thema produziert. Wie wurde Ihr Interesse an dem Stoff geweckt? 


Erstens aus persönlichen Gründen: Mein Vater ist in Israel geboren, mein Großvater kehrte 1956 zurück nach Deutschland, und mein Urgroßvater wurde während der Nazizeit in Düsseldorf versteckt. Dieser Lebensgeschichte kann man sich nur schwer entziehen. 


Und außerdem? 


Bei einer Recherche entdeckte der Dokumentarfilmer Peter F. Müller unveröffentlichtes Material von Barbie. Der Nazischerge hatte bei seinem Prozess in Lyon durchgehend geschwiegen, und damit blieb immer eine historische Leerstelle. Nun haben wir das Material, diese Leerstelle zu füllen. 


Worauf baut das Stück?


Uns liegen seine Selbsteinlassungen als authentisches Zeugnis vor, die er nach seiner Verhaftung in Frankreich für seinen Verteidiger aufgeschrieben hat. Dazu kommen Forschungsergebnisse von Peter Hammerschmidt über die Verquickung Barbies mit dem Bundesnachrichtendienst im Nachkriegsdeutschland. Und wir werten ein 14- Stunden-Gespräch des Ex-"Stern"-Reporters Gerd Heidemann mit Barbie aus. Er hat ihn in seinem Exil aufgesucht, in Bolivien, wo er sich als Klaus Altmann eine neue Existenz aufgebaut hatte. Sieben Tage lang konnte er ihn befragen. Dabei kam Erstaunliches heraus. 


Zum Beispiel? 


Dass einer wie Barbie sich nie änderte. Dass er bei der ersten Gelegenheit wieder politisch aktiv wurde. Er hat ein Leben lang als Folterer und Mörder operiert, so wie es früh in ihm angelegt war.


Erfahren wir Neues über Klaus Barbie, was wir noch nicht wussten? 


Auf jeden Fall. Zum Beispiel, dass er mittelbar an der Ergreifung und Tötung Che Guevaras beteiligt war. Noch wichtiger ist aber vielleicht die Antwort auf die Frage nach seiner Prädisposition. Was bewegte ihn? Aus welchem Antrieb handelte er? 


Und was lernen wir? 


Ich behaupte: Barbie war kein vordergründiges Monster - ein Psychopath, der sich schon durch seinen irren Blick entlarvt. Im Gegenteil, er war ein normales Mitglied der bürgerlichen Gesellschaft, der nette Familienvater von nebenan. Das macht ihn so gefährlich. 


Ist dieses Bühnenstück auch ein allgemeingültiges Lehrstück, das in die Zeit von heute weist?


Betrachten wir nur die jüngsten Gräuel, den Balkankrieg oder die Untaten des IS. Im einen Fall brechen zu Dutzenden ehemalige Einwanderer aus Jugoslawien aus unserer Mitte in ihre ursprüngliche Heimat auf, um sich als Söldner bei ethnischen Säuberungen zu verdingen. Und jetzt wieder sind es Kinder, Jugendliche, die mit uns zur Schule gegangen sind, im gleichen Sportclub waren, die nun bestialische Taten in Syrien und sonst wo begehen. Die Täter kommen nicht vom Mars, sondern aus unserer Mitte. 


Kann durchs Theater sprachliche Sensibilisierung stattfinden?


Das hoffe ich doch sehr! Wir müssen dieses Frühwarnsystem in uns aktivieren, denn meist steht das Wort vor der Tat. Die Sprache bereitet das Klima für bestimmte Denkungsarten, die dann die Taten erst möglich machen. 


Viel Schreckliches ist denkbar . . . 


Einen Mangel an Folterern und Mördern werden wir nie haben. Wir alle tragen auch Züge des Bösen in uns, das muss man akzeptieren. Deshalb ist es ein stetiges Ringen mit den Gefühlen von Wut, Hass und den damit einhergehenden Rachegelüsten, Einhalt zu gebieten. Wir haben eben nur eine dünne Zivilisationskruste. 


Wie findet man überhaupt einen Schauspieler für diese Rolle? 


Andreas Grothgar hat selbst das Stück vorgeschlagen beim Intendanten, und Beelitz hat sofort ja gesagt. Dabei ist es ein heikles Stück, weil man sich nicht leicht von dem Protagonisten abgrenzen kann. Da ist Barbie und hier bin ich. Über weite Strecken ist der Schlächter von Lyon ein netter Plauderer - eben der Opa, der aus dem Krieg heimkehrt, und spannende Geschichten erzählt. Wir müssen auf der Hut sein, dass von dieser Art nicht zu viele entstehen - die Zeiten sind danach! 


Das Gespräch erschien in der Rheinischen Post am 12.2.2016

Pressestimmen

Unerwartet drastisch fällt das Wechselbad der Gefühle aus, das Leonhard Koppelmann dem Zuschauer … zumutet. Regisseur und Autor Koppelmann (auch Autor des gleichnamigen, preisgekrönten Hörspiels) beschert weniger ein Doku-Spiel mit erhobenem Zeigefinger, denn ein packendes Theatererlebnis. Besonders dank Grothgar, der sich länger als ein halbes Jahr mit Barbies Erinnerungen beschäftigte.

Max Kirschner, Neue Rhein-Zeitung


Grothgar erzählt beherrscht, so wie Barbie erzählen würde, wenn er noch lebte: inOriginaltönen, nach einem Manuskript, das aus zum Teil noch unveröffentlichtem Archivmaterial zusammengesetzt wurde. … Den Kern der Gewalt gibt das in die Zeit passende Stück verschlüsselt Preis.

Annette Bosetti, Rheinische Post


Aus einem Vorbericht in der Westdeutschen Zeitung:

Hollywood-Regisseur Quentin Tarantino machte keinen Hehl daraus, dass der Kriegsverbrecher Klaus Barbie ihn zu seinem Erfolgsfilm „Inglourios Basterds“ inspiriert hat. Denn Nikolaus „Klaus“ Barbie - alias Klaus Altmann - stellte seine mörderischen Foltermethoden stets in den Dienst faschistischer Diktaturen, sei es unter den Nazis, während der Frankreich-Besatzung bis 1944 (darum geht es ja auch in dem Kinohit von 2009). Oder später in Bolivien, wohin er 1951, auch mithilfe des amerikanisches Geheimdienstes, emigrieren und unter dem Namen Altmann erneut Unheil anrichten konnte. Der Massenmörder, den die Franzosen bis heute den „Schlächter von Lyon“ nennen und nach Kriegsende zweimal in Abwesenheit zum Tode verurteilten, dient als Protagonist eines außergewöhnlichen Theaterabends. Die Autoren und Regisseure Leonhard Koppelmann und Peter F. Müller lassen in ihrem Einpersonen-Stück allein den Täter zu Wort kommen. Titel des pausenlosen 90- Minuten-Opus’, das am 13. Februar, 20 Uhr, Premiere feiern wird, im Schauspielhaus-Provisorium am Hauptbahnhof (Central): „Barbie - Begegnung mit dem Bösen“. Das klingt nach pädagogischem Projekt. Doch: „Wir sitzen nicht zu Gericht, sondern lassen den Täter zu Wort kommen. Barbie spricht nur im Originalton“, erklärt Koppelmann im WZ-Gespräch. Zitiert wird überwiegend - wie bereits im gleichnamigen WDR-Hörspiel von 2014, das der Theaterfassung zu Grunde liegt - aus Klaus Barbies Biografie. Aufgeschrieben von ihm ab 1983 in seiner Gefängniszelle in Lyon. Dort wartete der Mann, der zum Symbol des Nazi-Horrors wurde, auf seinen Prozess. Von 1942 bis 1944 soll er als Chef der Gestapo-Außenstelle in Lyon Tausende Männer, Frauen und Kinder gefoltert haben (mit sadistischen Methoden wie Water-Boarding - simuliertes Ertränken), oder in Vernichtungslager verschickt oder selbst getötet haben. Hintergrund des Prozesses: Nach einigen gescheiterten Versuchen, diesen NS-Verbrecher aus Bolivien nach Frankreich zu entführen (einmal durch Beate Klarsfeld), lieferte ihn Bolivien 1983 an Frankreich aus - in der kurzen Phase, als der lateinamerikanische Staat von einem demokratischen Präsident regiert wurde. Die Theater-Inszenierung will weniger Barbie als Monster oder seine abscheulichen Taten vorführen oder emotional aufgeladenes Historien-Drama liefern. Koppelmann: „Wenn wir Barbie — dargestellt von Andreas Grothgar — erzählen lassen, wollen wir seine Denkmuster entlarven.“ Es geht um einen kleinen, schmalen, unauffälligen Mann, der einer bürgerlichen, kulturbeflissenen Familie entstammt. Und dann zum Schlächter oder Folterer mutiert, wenn sich die Möglichkeit dazu ergibt, wenn, wie unter den Nazis, Grenzen und Hemmschwellen wegfallen. Und Grausamkeit, verübt an Minderheiten, unbestraft bleibt, ja von der Diktatur gewünscht wird. Menschen sind nicht von Natur aus Täter, sondern werden dazu, wenn die Ordnung zerbricht. Diese Erkenntnis zeige, so Kopppelmann, eine Verbindungslinie zum Völkermord im Jugoslawien-Krieg der 90er Jahre auf oder zu IS-Terroristen unserer Zeit. „Sie gingen früher mit uns zur Schule, spielten Fußball mit uns, sprengen sich als „Gotteskrieger“ heute in die Luft und reißen Hunderte von Unschuldigen mit in den Tod.“ Zu den verwendeten Materialien, auch aus dem Nachlass des Barbie-Verteidigers Jacques Vergès, sagt Autor Koppelmann: „Wir sind sicher, dass es Originale sind, wenn auch viele Texte wissenschaftlich noch nicht ausgewertet sind.“ Übrigens: Finanziert wurde Barbies Verteidigung von Francois Genoud - einem Schweizer Bankier und Holocaust-Leugner, der bereits den Anwalt des Obersturmbannführers Adolf Eichmann im Jerusalemer Prozess bezahlt hatte. 


Kurzbiografien

Andreas Grothgar wurde 1957 in Hamburg geboren und ist in Düsseldorf aufgewachsen. Er war u. a. am Theater Bremen, am Schauspiel Bonn, am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg, an den Münchner Kammerspielen, am Schauspiel Essen und am Schauspielhaus Bochum engagiert, wo er Rollen wie den Hamlet, Othello, Macbeth, Stanley Kowalski, Odysseus, Platonov oder König Claudius spielte. Er arbeitete u. a. mit den Regisseur*innen Andras Fricsay, Harald Clemen, Luk Perceval, Árpád Schilling, Burkhardt C. Kosminski, Schirin Khodadadian, Gregor Jarzyna, Jan Klata, Paul Koek und Stephanie Sewella zusammen. Neben dem Theater arbeitete er für Hörspiele mit Leonhard Koppelmann, Norbert Schaeffer, Walter Adler und Jörg Schlüter. Am Düsseldorfer Schauspielhaus stand er u. a. als Puntila in »Herr Puntila und sein Knecht Matti« (Regie: Jan Gehler), in »Die göttliche Komödie« nach Dante Alighieri (Regie: Johannes Schütz), in »Fanny und Alexander« nach dem Film von Ingmar Bergman (Regie: Stephan Kimmig) und als Antonio in »Der Kaufmann von Venedig« (Regie: Roger Vontobel) auf der Bühne. Aktuell sieht man ihn in »Terror« (Regie: Kurt Joseph Schildknecht), »Der Sandmann« (Regie: Robert Wilson), als Dorfrichter Adam in Heinrich von Kleists »Der zerbrochne Krug« (Regie: Laura Linnenbaum), in »Hundeherz« (Regie: Evgeny Titov) sowie seit der Spielzeit 20/21 in Ferdinand von Schirachs »Gott« (Regie: Robert Gerloff).


Leonhard Koppelmann ist 1970 in Aachen geboren und in Köln aufgewachsen. 1991 begann er als Autor für den Hörfunk zu arbeiten, bald darauf folgten erste Regiearbeiten. Von 1991 bis 1995 studierte er Theaterregie an der Universität Hamburg. Seither arbeitet er als Theater- und Hörspielregisseur. Bis dato inszenierte er weit über zweihundert Hörspiele, zuletzt Gustave Flaubert Lehrjahre der Männlichkeit, Christopher Isherwood Leb wohl, Berlin, John Dos Passos Manhattan Transfer, Michel Houellebecqs Unterwerfung und Tonio Kröger von Thomas Mann. Als Theaterregisseur arbeitet er seit einigen Jahren eng mit Peter Jordan zusammen. Das Regieduo inszenierte zuletzt am Burgtheater Wien, am Thalia Theater Hamburg sowie am Düsseldorfer Schauspielhaus und am Staatstheater Mainz. Im Jahr 2017 wurde Leonhard Koppelmann als Mitglied in die „Deutsche Akademie der darstellenden Künste“ berufen.

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