Alte Meister

Alte Meister
Bernhard – Pařízek – Galke, Holzhausen

Seit mehr als dreißig Jahren besucht der sogenannte Musikphilosoph Reger mit zwanghaft wirkender Regelmäßigkeit das Kunsthistorische Museum. An jedem zweiten Tag lässt er sich vormittags für zwei Stunden auf einer Sitzbank im „Bordone-Saal“ in der Gemäldegalerie nieder, um von dort aus Tintorettos Bildnis eines weißbärtigen Mannes in den Blick zu nehmen. Reger, der mehr oder minder beruflich für die Times Kritiken über das Wiener Musikleben verfasst, verfolgt mit seinen Museumsbesuchen die Absicht, in den ausgestellten Kunstwerken der Alten Meister jeweils einen „gravierenden Fehler“ zu entdecken – am perfekt erscheinenden Weißbärtigen Mann sucht er diesen schon besonders lange.

Bei seiner Methode der Kunstbetrachtung folgt Reger einem einfachen Grundsatz: „Erst wenn wir immer wieder darauf gekommen sind, daß es das Ganze und das Vollkommene nicht gibt, haben wir die Möglichkeit des Weiterlebens. Wir halten das Ganze und das Vollkommene nicht aus.“ Davon ausgehend, unterzieht Reger alles Vorgefundene und oftmals einst Geliebte einem „Zerlegungs- und Zersetzungsmechanismus“. Er entwirft gleichsam einen kompletten Katalog von abgewerteter Kunst und Kultur und ihrer Schöpfer, unter ständiger Betonung politischer Zusammenhänge zu Staat und Kirche.

Seine „Geistesgewohnheit“ betreibt Reger nicht allein. Seit mehr als dreißig Jahren steht ihm der Museumswärter Jenö Irrsigler zur Seite, hält die Bordone-Sitzbank für ihn frei und störende Besuchergruppen von ihm fern. Reger und Irrsigler haben über die Jahrzehnte ein intimes Naheverhältnis entwickelt, im Zuge dessen der aus dem Burgenland stammende Museumswärter immer mehr zum „Sprachrohr“ des Musikphilosophen wurde. Irrsigler kann Regers Ansichten zu Kunst und Gesellschaft nicht nur wörtlich wiedergeben, sondern auch glaubhaft empfinden. Zudem hat Irrsigler als Ehestifter Bedeutung für Regers Leben erlangt: durch sein Zutun hat vor wiederum dreißig Jahren eine Frau auf der Bordone-Sitzbank Platz genommen, die Regers Gemahlin werden sollte. 

Alte Meister

von Thomas Bernhard

Komödie

Weiterspielen-Neuproduktion der Fassung für das Volkstheater Wien

Nach der gleichnamigen Prosa für die Bühne  bearbeitet von Dušan David Pařízek


Mit 

Lukas Holzhausen (Reger)

Rainer Galke (Irrsigler)


Regie und Bühne Dušan David Pařízek

Kostüme Kamila Polívková

Dramaturgie Roland Koberg

Licht Krisha Piplits

Souffleur mit Spielverpflichtung Jürgen M. Weisert


Aufführungsdauer ca. 2 Stunden, keine Pause

Aufführungrechte: Suhrkamp Verlag AG, Berlin


Alle Fotos © Lukáš Horký


Premiere am Volkstheater Wien am 18. Oktober 2015. 

Gastspiele in Olmütz (2016), Schauspielhaus Düsseldorf (2016)

weiterspielen-Premiere am 21. März 2023 in Schlanders, weitere Gastspiele in Brixen, Meran (2023), Aarau, Baden (2024)


Mitwirkende der Originalproduktion (Volkstheater Wien 2015/16)

Regieassistenz Carl Christian Fuhr Bühnenbldassistenz Johanna Guggenberger Kostümassistenz Amelie Sabbagh Inspizient Mario Schober Souffleur Jürgen M. Weisert Bühnenmeister Philipp Gafler Beleuchtung Klaus Tauber


ORIGINAL-TRAILER DES VOLKSTHEATERS WIEN:

Zum Werk und seiner Geschichte

„Alte Meister“ ist der letzte Roman Thomas Bernhards. Er wurde in ersten Monaten des Jahres 1985 geschrieben und im darauffolgenden Herbst bei Suhrkamp veröffentlicht. Unverkennbar verarbeitet Bernhard den Abschied von seinem Lebensmenschen Hedwig Stavianicek, die am 28. April 1984 im Alter von 89 Jahren gestorben war – Bernhard und sie waren zwar nicht verheiratet, aber doch seit den 50er-Jahren, als sich die um 37 Jahre ältere Wienerin des lungenkranken Salzburger Studenten annahm, ein reiselustiges Paar gewesen.

Die Entstehungsgeschichte von „Alte Meister“ fällt zeitlich außerdem zusammen mit der (nach vier Monaten wieder aufgehobenen) Beschlagnahmung des Vorgänger-Romans „Holzfällen" in Österreich. Durch den Holzfällen-Skandal, bei dem per Einstweiliger Verfügung gegen die Kunstfreiheit entschieden wurde, musste sich Bernhard in seiner Meinung über den österreichischen Staat und seine Repräsentanten bekräftigt sehen, wie sie in „Alte Meister“ in unüberbietbarer Deutlichkeit zum Ausdruck kommt. Das Holzfällen-Verbot  veranlasste Bernhard, einen Auslieferungsstopp seiner Bücher nach Österreich zu verhängen. 

Im Genretitel bezeichnet Bernhard, der seine Prosawerke ansonsten „Eine Entscheidung", „Eine Isolation", „Eine Erregung" oder „Ein Zerfall" nannte, „Alte Meister" als „Komödie". Dies kann als Hinweis auf die Theater-Schlusspointe gesehen werden (über einen Besuch von Kleists „Zerbrochnen Krug" im Burgtheater heißt es final: „Die Vorstellung war entsetzlich.“), ebenso auf typische dramaturgische Komödien-Merkmale (wie zum Beispiel den Regelverstoß als Ausgangspunkt) und auf ein weiteres Grundthema Bernhards: „Es ist alles lächerlich, wenn man an den Tod denkt.“  

Das Kunsthistorische Museum hat Bernhard Anfang der 80er-Jahre tatsächlich regelmäßig besucht, darunter gewiss auch jenen Saal mit einigen Bildern von Tintoretto und Bordone, den Bernhard als Bordone-Saal bezeichnet, wenngleich solche namentlichen Zuschreibungen im KHM nicht existieren. Die Heraushebung des Weißbärtigen Mannes aus der Sammlung der Gemäldegalerie verdankt sich offenkundig einem – von Bernhard mit Unterstreichungen versehenen – Aufsatz der damaligen Direktorin Friderike Klauner, die das um 1570 gemalte Porträt folgendermaßen charakterisiert: „Aus der Schwärze des Hintergrunds, in die kaum unterscheidbar das dunkle Gewand des Mannes eingeht, leuchten nur Kopf und Hand hervor. Auf diese, vor allem aber auf den Kopf ist das Licht wie aus einem Scheinwerfer konzentriert, alles andere wird zurückgenommen. […] Tintorettos Bildnisse kennzeichnen den Ausbruch aus der Ausgewogenheit der Renaissance und den Beginn einer neuen Betrachtungsweise, die betont einseitig das schöne Bild auflösen will und erschreckende Finsternis einbrechen lässt […]“

Pressestimmen

Die beiden Darsteller spielen erstklassig, und Pařízek hat einen spannenden beklemmenden Theaterabend montiert.

Guido Tartarotti, Kurier


Die Bernhard-Suada bekommt durch die Gegenwärtigkeit der Schauspielerkörper (sie sind keine bloßen Redefiguren, sondern wendige Menschen mit Haut und Haaren) plötzlich eine andere Präsenz und Dringlichkeit. Pařízek schlägt einen lebhaft-lockeren Bernhard-Ton an; er hat die Imprägnierung der Figuren als Altherrenbildnisse weggesprengt, sie verjüngt. … Pařízek dreht seine Bühnenfassung so weit, dass den großspurigen, naturgemäß paternalistischen Reden Regers (die als Trauerrede auf seine verstorbene Frau enden) eine Hommage an die Frauen entspringt: den steten Leerstellen in Bernhards Werk. All das steckt in diesem Text. Und die beiden Volkstheater-Schauspieler sind ihm in formschöner Strenge auf der Spur.

Margarete Affenzeller, Der Standard


Pařízeks Interpretation macht viele Räume auf, vor allem in Richtung Samuel Beckett, erscheinen doch die Szenen zunehmend absurd.

Julia Danielczyk, Salzburger Nachrichten


Lukas Holzhausen geht unerhört sorgsam um mit der Rolle des nervigen Reger, berührend sowohl in den Rundumschlägen als in der Verzweiflung über den Tod der Ehefrau. Rainer Galke, massig und erstaunlich zart zugleich, ist als Regers liebevoller Buddy Irrsigler ebenso ein Ereignis.

Bernadette Lietzow, Tiroler Tageszeitung


Alte Meister im Museum moderner Poesie: Dušan David Pařízek hat Thomas Bernhards späten Roman kunstvoll dramatisiert: Er konzentriert das Geschehen auf die zwei Protagonisten, die souverän zornigen Weltschmerz, leichten Slapstick und absurdes Theater bieten

Norbert Mayer, Die Presse


Kurzbiografien

Thomas Bernhard Geboren 1931 in Heerlen, Niederlande, aufgewachsen in Österreich. Von 1955–57 Studium der Dramaturgie und Schauspielkunst am Mozarteum Salzburg. 1963 Veröffentlichung seines Debütromans „Frost“. Es folgten weitere Romane, u. a. „Verstörung“ (1967), „Das Kalkwerk“ (1970), „Die Ursache“ (1970), „Korrektur“ (1975), „Der Untergeher“ (1983) und „Auslöschung“ (1986). Seit 1970 zahlreiche Theaterstücke, u. a. „Ein Fest für Boris“ (1970), „Der Ignorant und der Wahnsinnige“ (1972), „Die Macht der Gewohnheit“ (1974), „Minetti“ (1977), „Der Weltverbesserer“ (1979), „Über allen Gipfeln ist Ruh“ (1981), „Ritter, Dene, Voss“ (1984), „Der Theatermacher“ (1985) und „Heldenplatz“ (1988).  Zahlreiche Auszeichnungen u. a. mit dem Georg-Büchner-Preis (1970), mit dem Adolf-Grimme-Preis (1972), mit dem Premio Letterario Internazionale Mondello (1983) und mit dem Prix Médicis (1988). Bernhard starb 1989 im oberösterreichischen Gmunden.


Rainer Galke Geboren 1971 in Meerbusch (Deutschland), Schauspielausbildung an der Folkwang Hochschule in Essen. Engagements am Schlosstheater Moers, am Schauspiel Dortmund, am Theater Freiburg und am Düsseldorfer Schauspielhaus (Auszeichnungen für die Beste Ensembleleistung beim NRW-Theatertreffen und Theaterpreis Gustaf als Bester Schauspieler). 2015-2019 Ensemblemitglied am Volkstheater Wien, seit 2019 am Burgtheater - Mitwirkung u.a. in "Die Hermannsschlacht" , "Pelleas und Melisande", "Maria Stuart", "Fegefeuer in Ingolstadt", "Am Ziel", "Raub der Sabinerinnen". 

Für die Rolle als Irrsigler in "Alte Meister" wurde Rainer Galke 2016 mit einem Nestroy-Preis in der Kategorie Bester Schauspieler männlich ausgezeichnet. Regelmäßig in Film- und Fernsehproduktionen zu sehen, etwa in der mit einer Goldenen Romy ausgezeichneten Produktion "Frau Müller muss weg".


Lukas Holzhausen Geboren 1967 in Männedorf (Schweiz). Schauspielausbildung an der Schauspielakademie Zürich. 1993 bis 2000 Ensemblemitglied am Schauspielhaus Graz, 2000/01 am Theater Bremen, 2001 bis 2003 am Schauspiel Frankfurt, 2003 bis 2007 am Schauspiel Köln, 2007 bis 2011 am Deutschen Schauspielhaus Hamburg, 2011 bis 2015 am Schauspielhaus Zürich, 2015 bis 2019 am Volkstheater Wien (2017 und 2019 Nominierungen für den Nestroy-Preis als Bester Schauspieler). Seit 2019 am Schauspiel Hannover - Mitwirkung in "Amphitryon", "Die Ärztin", "Monte Rosa", "Wer hat Angst vor Virginia Woolf?", "Richard III.", "Vor dem Fest" u.a.

Regelmäßige Regietätigkeit, in Wien bei "Halbe Wahrheiten", "Hangmen (Die Henker)", "Emilia Galotti" und "Der Raub der Sabinerinnen", in Hannover u.a. bei "Ein Mann seiner Klasse" (eingeladen zum Berliner Theatertreffen 2022) und "IKI und ich".


Dušan David Pařízek Geboren 1971 in Brünn (ČSSR), aufgewachsen an wechselnden Orten in Österreich, Deutschland, Holland und der Schweiz. Schauspiel- und Regiestudium an der Akademie für Darstellende Künste in Prag. Das von ihm 1998 gegründete und bis 2012 geleitete Prager Kammertheater wurde von der Kritik mehrfach zum tschechischen Theater des Jahres gewählt und zu zahlreichen internationalen Gastspielen eingeladen, vier Mal erhielt er den Alfréd Radok Preis für die beste Regie. Seit 2002 Inszenierungen im deutschsprachigen Raum: wiederholt am Schauspiel Köln, am Deutschen Theater Berlin, am Deutschen Schauspielhaus Hamburg, am Schauspielhaus Zürich, am Düsseldorfer Schauspielhaus, am Theater Bremen, in Wien am Burgtheater und am Volkstheater, am Schauspiel Hannover und am Schauspielhaus Bochum. Zuletzt inszenierte er am Schauspiel Stuttgart, in Prag ("Moskoviada") und Bratislava.

In der Regel zeichnet er auch für seine Bühnenbilder verantwortlich. Seine Uraufführungsinszenierung "Die lächerliche Finsternis" wurde 2015 zum Berliner Theatertreffen eingeladen und in Theater heute zur besten deutschsprachigen Inszenierung der Saison gewählt. Mehrfach ausgezeichnet wurden auch seine Inszenierungen "Faust 1-3" am Schauspielhaus Zürich und "Vor Sonnenaufgang" am Burgtheater Wien.


Kamila Polívkova Geboren 1975 in Brünn (ČSSR). Bühnenbildstudium an der Janácek Akademie für Musik und Darstellende Künste in Brünn. Erste Arbeiten als Bühnen- und Kostümbildnerin für das Nationaltheater Prag, das Nationaltheater Brno und das Stadttheater Zlín. Seit 2004 gehörte sie als Bühnen- und Kostümbildnerin zum Ensemble des Prager Kammertheaters und wirkte an zahlreichen Produktionen mit. Regelmäßige Zusammenarbeit mit dem Regisseur Dušan David Pařízek, so am Schauspiel Köln, am Deutschen Theater Berlin, am Deutschen Schauspielhaus Hamburg, am Schauspielhaus Zürich, am Düsseldorfer Schauspielhaus, in Wien am Burgtheater und am Volkstheater, zuletzt am Schauspielhaus Bochum. 2009 gab sie ihr Regiedebüt am Prager Kammertheater und inszeniert seither regelmäßig, etwa am Studio Hrdinů in Prag und am HaDivadlo in Brünn. Für die von ihr verantwortete tschechisch-isländische Koproduktion "Skugga Baldur" wurde sie mit dem Preis für das beste alternative Theaterprojekt ausgezeichnet.

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